09.11.2020

Chri­sti­ne Heer, Kollegium

Eine ande­re Schu­le zu sein ist nicht ein­fach! Eine Beson­de­re erst recht nicht!

Aber genau die­sen Anspruch haben wir an der Wal­dorf­schu­le und wir sind ein klei­nes aber moti­vier­tes Kol­le­gi­um, das sich mit geein­ten Kräf­ten dafür einsetzt.

Die Schu­le als Insti­tu­ti­on hat heu­te das Ziel, bra­ve, gehor­sa­me und ange­pass­te Men­schen her­vor­zu­brin­gen, die man in den Wirt­schafts­be­trie­ben gut ein­set­zen kann, die ler­nen, was sie als Grund­stock für die Berufs­welt brau­chen und die bereit sind, von wei­ter oben in der Hier­ar­chie­py­ra­mi­de Befeh­le anzu­neh­men oder sie nach unten zu ertei­len. Kar­rie­re zu machen ist da ein ange­se­he­nes Lebensziel.

An der Wal­dorf­schu­le haben wir aber ande­re Zie­le und ande­re Absich­ten. Wir wol­len Men­schen dar­in unter­stüt­zen, sich gesund zu ent­wickeln, Din­ge fürs Leben zu ler­nen, die weit über das hin­aus­ge­hen, was man jeder­zeit goo­geln oder nach ler­nen kann. Nah­rung fürs Leben zu bekom­men, die einem stärkt und auch lan­ge über die Schul­zeit hin­aus satt macht.

Da ste­hen wir natür­lich im Span­nungs­feld zwi­schen dem, was für alle wei­ter­füh­ren­den Lehr­be­trie­be oder Schu­len gefor­dert ist, denn da müs­sen natür­lich die Schü­ler einen guten Über­gang fin­den,- und dem, was unse­ren Idea­len ent­spricht, unse­ren Über­zeu­gun­gen, was ein Mensch braucht.

Wir sind bemüht, bei­des zu tun!

Die Schü­ler, wel­che die 9. Klas­se bei uns ver­las­sen, fin­den zum aller­gröss­ten Teil gut in das ande­re System, das sie «da draus­sen» erwar­tet, und wir bekom­men immer wie­der die Rück­mel­dung von ihnen, dass sie ger­ne an die Schul­zeit bei uns zurück­den­ken, und froh sind um all das, was sie zusätz­lich zum Schul­stoff bekom­men haben. Wir hören auch oft, dass es nicht schwer sei, inhalt­lich zu fol­gen, wenn sie z. B. ans Gym­na­si­um wech­seln, dass aber vie­le Leh­rer nicht ein­mal die Namen der Schü­ler ken­nen oder sie ein­fach als einen unter vie­len sehen, anfangs sehr gewöh­nungs­be­dürf­tig sei.

Was tun wir denn, was unse­re Schu­le so anders macht? Was ist das «mehr» das wir den Kin­dern mit­ge­ben wollen?

Da ist einer­seits unse­re Über­zeu­gung, dass Kin­der Zeit brau­chen. Zeit zum Ler­nen, zum Ver­ste­hen, Zeit, ihre See­le ein­zu­stim­men auf das, was gera­de The­ma ist. Zeit, die wir ihnen geben und dar­auf ver­trau­en, dass sie uns nicht davon­läuft. Wir wis­sen, dass wenn Kin­der mit viel Zeit ler­nen, das Gelern­te tie­fer ankommt, als wenn schon das näch­ste The­ma drängt und Stress erzeugt.

Dazu gehört, dass wir die Kin­der viel sel­ber beob­ach­ten las­sen, sel­ber schau­en, her­aus­fin­den, Zusam­men­hän­ge bemer­ken und sich dabei die jun­gen Men­schen eine wirk­li­che Urteils­fä­hig­keit ent­wickeln. «Ich habe etwas gese­hen, hab es durch­schaut, ver­stan­den, geübt und jetzt kann ich es!»

So ler­nen die Kin­der auch, ihren Beob­ach­tun­gen, Wahr­neh­mun­gen und Urtei­len zu trau­en und schliess­lich auch, an sich sel­ber zu glauben.

Nein, das führt nicht zu Arro­ganz, denn auch das sozia­le Mit­ein­an­der ist uns sehr wich­tig! Wir legen gros­sen Wert dar­auf, dass sich die Kin­der sel­ber und gegen­sei­tig wahr­neh­men und sehen, dass sie sich gut ken­nen, vie­les gemein­sam tun und erle­ben und gemein­sam erleb­tes ver­bin­det und stärkt. Da die Klas­sen 9 Jah­re lang zusam­men­blei­ben, haben die Kin­der die Mög­lich­keit, über vie­le Jah­re hin­weg, sich gegen­sei­tig ent­wickeln zu sehen, sie ler­nen die Stär­ken und Schwä­chen von­ein­an­der ken­nen und sehen, dass nicht nur schu­li­sche Stär­ken wich­tig sind, son­dern auch sozia­le, künst­le­ri­sche, praktische …

Wei­ter ist es unser Lehr­plan so auf­ge­baut, dass er sich der Ent­wick­lung der Kin­der anpasst. Alles, was wir unter­rich­ten, MUSS mit dem Men­schen zu tun haben!

Ganz egal, ob es Spra­che, Geschich­te, Musik, Sport, Kunst oder was auch immer ist, wir sehen und stel­len es immer in Zusam­men­hang zu den Schü­lern. Nichts soll ein­fach aus­wen­dig gelernt wer­den, dass man es abru­fen kann, son­dern es soll alles von den Kin­dern und Jugend­li­chen erfin­dungs­ge­mäss nach­voll­zo­gen wer­den kön­nen. Wir wol­len nicht Köp­fe fül­len, son­dern See­len anre­gen, die dann ger­ne über die Welt, in der sie leben, mehr erfah­ren. Immer sol­len die Schü­ler das Gefühl haben: Was ich hier ler­ne, hat mit mir zu tun und es geht mich etwas an!

All dies, von der Spiel­grup­pe bis zum Abschluss der Schu­le, för­dert das gesun­de Mensch­sein, för­dert Resi­li­enz, för­dert die Kraft im Men­schen, sich in die Welt zu stellen.

1. Klasse, Maria Schweigl

Ein neu­er Lebens­ab­schnitt beginnt! So hiess es für die neu­en Schü­le­rIn­nen der ersten Klas­se. Nach und nach gewöhn­ten sich die Kin­der an den neu­en Tages­ab­lauf des Schul­all­tags. Obwohl man­cher Schü­ler ger­ne schon sein «Znü­ni­brot» zum Stun­den­be­ginn ver­zeh­ren woll­te, wur­den den­noch die Ohren gespitzt und die Augen offen gehal­ten. Vol­ler Freu­de end­lich Schrei­ben zu ler­nen, wid­me­ten wir uns den gros­sen Buch­sta­ben und konn­ten so bald erste Wor­te und spä­ter gan­ze Tex­te schrei­ben. Auch beim Klang der Zah­len schlu­gen man­che Her­zen höher. Lern­ten wir ja end­lich das, was die Gros­sen so gut kön­nen: mit­ein­an­der tei­len (Divi­si­on), ver­lie­ren (Sub­trak­ti­on), dazu­be­kom­men (Addi­ti­on), und ver­dop­peln, ver­drei- oder ver­vier­fa­chen (Mul­ti­pli­ka­ti­on).

So stie­gen die Schü­le­rIn­nen im kind­ge­rech­ten Tem­po in ihre Schul­lauf­bahn ein. Unser Lehr­plan ermög­licht einen ent­spann­ten Über­tritt in den neu­en Rhyth­mus und lässt die ver­schie­de­nen Cha­rak­te­re, die Kin­der mit­brin­gen, atmen und frei sein, trotz einem geführ­ten Weg durch die Lehrpersonen.

2. Klasse, Kamala Alvarez

Spra­che in Wort und Schrift: In sin­ni­gen Erzäh­lun­gen über Pflan­zen und Tie­re wur­de das gött­li­che Wir­ken in Natur und Schöp­fung erleb­bar. Die Krö­nung des zwei­ten Schul­jah­res bil­de­te das fächer­über­grei­fen­de Mitt­som­mer­spiel, ein Zusam­men­wir­ken aller Schü­ler der gan­zen Schu­le. Cho­ri­sches Spre­chen von lusti­gen Sprech­übun­gen und sin­ni­gen Gedich­ten. Im Schreib­un­ter­richt haben wir in die­sem Jahr erst die Klein­buch­sta­ben dazu gelernt und die­se geübt. Wir wech­sel­ten vom Wachs­mal­stift zu den Holz­stif­ten und so zu einem über­sicht­li­che­ren Schrift­bild. Wir benutz­ten sowohl ein unli­nier­tes Heft wie auch ein Heft mit vor­ge­ge­be­nen Lini­en. Gross­buch­sta­ben haben wir in Klein­buch­sta­ben verwandelt.

Wir übten Fra­ge­sät­ze mit Fra­ge­zei­chen. Wir sam­mel­ten Wör­ter mit beson­de­ren Lau­ten – Schreib- und Sprech­übun­gen dazu. Die Kin­der schrie­ben vor­ge­schrie­be­ne Sätz­lein auf und wur­den dazu ermu­tigt, in frei­er Wei­se selbst erfun­de­ne Sätz­lein zu schreiben.

Im Rechen­un­ter­richt erwei­ter­ten wir den Zah­len­raum bis 100. Wir übten Kopf­rech­nen, arbei­te­ten erst­mals in einem karier­ten Heft. Wir übten die vier Grund­re­chen­ar­ten auch schrift­lich. Dazu erar­bei­te­ten wir uns das klei­ne Ein­mal­eins und konn­ten uns für jede aus­wen­dig gelern­te Mal rei­he (vor­wärts, rück­wärts, durch­ein­an­der) einen Blu­men­sa­men ver­die­nen. Am selbst gena­gel­ten Rechen­stern konn­ten wir das Stern­mu­ster sehen, das jede Mal­rei­he ergibt (zeich­ne­ri­sche Dar­stel­lung der Einmaleinsreihen).

Im For­men-zeich­nen pfle­gen wir die inne­re Anschau­ung so, dass sich das Den­ken dar­an ent­wickeln kann: nur die Hälf­te einer sym­me­tri­schen Form wur­de dem Kind gege­ben. Die ent­spre­chen­de Ergän­zung muss­te selbst gesucht wer­den. Übun­gen zu run­den und ecki­gen sym­me­tri­schen For­men an senk­rech­ter und waag­rech­ter Mit­tel­ach­se Symmetrieachsen.

Hand­ar­beit: Geschick­lich­keits­übun­gen wie Faden­spie­le; Freund­schafts­bän­der wur­den geknüpft, Schutz­schil­de gewickelt, Strick­na­deln aus Holz wur­den schlei­fend und polie­rend selbst gefer­tigt; Übung der Fin­ger­ge­schick­lich­keit durch das Stricken (rech­te und lin­ke Maschen) Haupt­ar­beit: gestrick­ter Ball; Häkeln: Luft­ma­schen, feste Maschen. Haupt­ar­beit: Schatzbeutelchen.

3. / 4. Klasse, Mechtild Metzler-Schähle

Wie ist es gelun­gen, in einer Umbruch­si­tua­ti­on, in der sich die Kin­der zwi­schen dem 9. Und 11. Lebens­jahr befin­den, an die­se Situa­ti­on anzu­knüp­fen und das Leben und die Welt näher­zu­brin­gen, um damit die Ent­wick­lung der Kin­der zu impulsieren?

Im Malen wur­de die Schöp­fungs­ge­schich­te des Alten Testa­ments noch ein­mal auf­ge­grif­fen. Es wur­de ein Gemein­schafts­bild auf gros­ser Lein­wand zum 4. Schöp­fungs­tag, sowie ein Bild aus dem fin­ni­schen Natio­nal­epos Kale­wa­la, näm­lich das Mee­res­un­ge­heu­er Tur­sas gemalt.

Im Som­mer­spiel wur­den sprach­lich und euryth­misch die Ele­men­tar­we­sen Gno­me (Zwer­ge), Syl­phen (Luft­we­sen, Elfen) und die Nym­phen (Was­ser­we­sen) geübt und in einer gros­sen Auf­füh­rung, an der alle Schul­klas­sen betei­ligt waren, auf der Büh­ne gezeigt. Die gemein­sa­men Pro­ben in der Coro­na-Zeit haben im Frei­en statt­ge­fun­den, die Auf­füh­rung war im Saal möglich.

In der Gram­ma­tik der deut­schen Spra­che sind Wort- und Satz­ar­ten, sowie die Zei­ten in sehr leben­di­ger Wei­se erlernt wor­den. Was im Vor­jahr erlernt wor­den war (die Wort- und Satz­ar­ten), ist sofort wie­der prä­sent gewe­sen. Es wur­de in der 3. Klas­se die Schreib­schrift erlernt. Dies bedeu­te­te gros­se Anstren­gung und ein Erfolgs­er­leb­nis für die Kin­der. Die 4. Klas­se hat in die­ser Zeit bereits Geschäfts­brie­fe geschrie­ben. Für die Fei­er zur Eröff­nung des Neu­baus haben die Kin­der Brie­fe an die Geträn­ke­fir­ma Völkl geschrie­ben, mit Erfolg. Wir haben 20 Kisten Geträn­ke gespon­sert bekom­men. Dan­kes­brie­fe durf­ten nicht fehlen.

Im Zeich­nen von sym­me­tri­schen For­men wur­de in der 3. Klas­se eine Hil­fe ange­bo­ten, eine Har­mo­nie von innen und aus­sen zu fin­den. In der 4. Klas­se war die Über­kreu­zung dran, also Flechtmuster.

In der Reli­gi­on (für alle Kin­der) wur­de die Ehr­furcht vor dem Mensch­li­chen, natür­li­chen und Gött­li­chen gepflegt. Das Gewis­sen, inne­re Ver­ant­wor­tung und Schick­sals­fra­gen waren Thema.

Unter dem Mot­to Haus­bau der 3. Klas­se haben wir mit der Hil­fe zwei­er Schul­vä­ter ein ganz tol­les Spiel­haus gebaut, in krea­ti­ver Wei­se einem ale­man­ni­schen Gru­ben­haus nach­emp­fun­den. Die­ses Haus wird von den Kin­dern im Schul­haus der Unter­stu­fe rege genutzt.

In der 4. Klas­se tritt ein distan­zier­te­res Ver­hält­nis gegen­über der Natur und dem Men­schen auf. Dem wird in der anthro­po­so­phi­schen Erzie­hung mit neu­en Fächern begeg­net, die eine Welt­zu­wen­dung ein­lei­ten können:

Geo­gra­fie und Geschich­te der Hei­mat und in der Natur­kun­de der Mensch und Tier­kun­de. Der Son­nen­lauf, die Him­mels­rich­tun­gen, Plä­ne aus der Vogel­per­spek­ti­ve vom Klas­sen­zim­mer, der Schul­um­ge­bung, des Ortes und ein Aus­flug auf die Hohe Kugel, ein Aus­sichts­berg, von dem aus die Kin­der ihre Hei­mat­or­te sehen konnten.